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Gegenstand des folgenden Rechtsstreits vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth (LG) war einmal mehr die Auslegung eines Testaments, das im Jahr 1986 verfasst wurde. Ausschlag dafür gab der Wunsch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Die Erben waren der Auffassung, dass dieser unerfüllt bleiben müsse, da es sich bei dem Antragsteller um einen Vermächtnisnehmer handle, der durch Geltendmachung seines Pflichtteils das Vermächtnis stillschweigend ausgeschlagen und damit auch auf weitere Ansprüche verzichtet habe.
Der bereits im Jahr 1989 verstorbene Erblasser hatte seine Frau aus zweiter Ehe sowie seinen adoptierten Sohn in einem handschriftlichen Testament bedacht. Dort hatte er verfügt, dass seine Ehefrau seine Erbin werden solle. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollte der noch übriggebliebene Nachlass an den Sohn fallen. Der überlebende Ehegatte solle berechtigt sein, über den Nachlass frei zu verfügen, und von allen Beschränkungen befreit sein. Jedoch solle er nicht berechtigt sein, das Testament zu ändern. Nach dem Tod des Vaters hatte der Sohn gegenüber der Witwe einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von ca. 650.000 DM geltend gemacht und diesen auch erhalten. Nach dem Tod der Witwe 2020 trat die gesetzliche Erbfolge ein, und der Sohn vertrat gegenüber den gesetzlichen Erben der Stiefmutter die Ansicht, dass die nunmehr verstorbene Erblasserin im Jahr 1986 testamentarisch als befreite Vorerbin und er als Nacherbe eingesetzt worden seien. Er verlangte von den gesetzlichen Erben der Stiefmutter Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Die Erben waren aber der Ansicht, dass der Sohn lediglich Vermächtnisnehmer geworden sei und durch die Geltendmachung seines Pflichtteils das Vermächtnis stillschweigend ausgeschlagen habe.
Dieser Ansicht ist das LG nicht gefolgt und hat die Erben dazu verpflichtet, ein Bestandsverzeichnis über den Nachlass nach dem 1989 verstorbenen Erblasser zu erstellen. Das Gericht begründete dies damit, dass der Sohn zwar nicht Nacherbe, jedoch Nachvermächtnisnehmer geworden ist. Aus dem Wortlaut des Testaments ergebe sich zunächst nicht, dass eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet sei. Lediglich bezüglich der Ehefrau wird überhaupt von einer Erbeinsetzung gesprochen. Gegen eine Erbeinsetzung des Sohns spricht nach Ansicht des LG aber der Umstand, dass die Ehefrau von allen Beschränkungen befreit werden sollte. Das Gericht kam hier durch Auslegung zum Ergebnis, dass eine Vollerbeneinsetzung der Ehefrau sowie die Anordnung eines Nachvermächtnisses zugunsten des Sohns der vom Erblasser beabsichtigten Stellung der Ehefrau als "superbefreite Vorerben" am nächsten komme. Der Sohn habe das Nachvermächtnis durch die Geltendmachung seines Pflichtteils auch nicht ausgeschlagen. Zwar kann die Geltendmachung des Pflichtteils eine schlüssige Ausschlagung eines Vermächtnisses darstellen. Aufgrund der Umstände ist allerdings davon auszugehen, dass der Sohn immer gedacht habe, testamentarisch als Nacherbe eingesetzt worden zu sein. Hätte er Kenntnis davon gehabt, dass es sich um ein Vermächtnis handelt, wäre der Pflichtteil vermutlich nicht geltend gemacht worden.
Hinweis: Grundsätzlich steht einem Vermächtnisnehmer kein Auskunftsanspruch gegenüber Erben zu. Benötigt er Informationen für die Feststellungen und zur Durchsetzung seines Anspruchs, wird ausnahmsweise ein Auskunftsrecht bejaht.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Endlich hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) zur Frage geäußert, ob die Erbunwürdigkeit auch im Wege eines rechtskräftigen Versäumnisurteils erklärt werden kann.
Erst einmal kurz zum Allgemeinen: Erbunwürdig kann unter anderem derjenige sein, der Straftaten gegen den Erblasser begangen oder diesen durch Täuschung oder Drohung zu einer bestimmten Verfügung von Todes wegen veranlasst hat. Steht eine solche Erbunwürdigkeit im Raum, ist hierfür die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen den Erbunwürdigen erforderlich. Bei Erfolg der Klage wird der Erbe als erbunwürdig erklärt; er scheidet aus der Erbfolge aus. Umstritten war bislang, ob diese Erbunwürdigkeit auch im Wege eines sogenannten Versäumnisurteils erklärt werden kann. Ein solches Versäumnisurteil ergeht, wenn der Beklagte auf die Klage nicht oder nicht rechtzeitig reagiert. Dann wird der Sachvortrag des jeweiligen Klägers als richtig unterstellt.
Nach dem Tod des Erblassers 2018 hatte dessen einziges Kind gegen die überlebende Ehefrau eine Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit erhoben. Begründet hatte es dies damit, dass es vermutete, dass die Ehefrau einen vom Erblasser unterzeichneten Blankopapierbogen zur Erstellung eines Testaments nach dessen Tod verwendet habe. Gegen die überlebende Ehefrau war ein rechtskräftiges Versäumnisurteil ergangen; die Tochter beantragte einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist. Sowohl das Nachlassgericht als auch das Oberlandesgericht waren der Ansicht, dass das Nachlassgericht an die Entscheidung in dem Erbunwürdigkeitsverfahren gebunden sei - auch bei einem Versäumnisurteil. Und eben jene Ansicht hat nunmehr auch der BGH bestätigt, und der Erbschein zugunsten der Tochter wurde zu Recht erteilt.
Hinweis: Die Frage der Erbunwürdigkeit kann nicht im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens geprüft werden.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Wer über Antworten auf offene Fragen mutmaßen muss, sucht nach Anhaltspunkten, die nahelegen, was mit großer Wahrscheinlichkeit gemeint gewesen war. So auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG), das mit der Interpretation eines handschriftlich verfassten letzten Willens betraut wurde. Und siehe da: Die Bestimmung von Ersatzerben gab dem Gericht einen Wink in die vermutet richtige Richtung.
Die kinderlosen Erblasser hatten im Jahr 1990 ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament aufgesetzt und sich gegenseitig zu Alleinerben bestimmt. Nach dem Tod des Letztverstorbenen sollte der gesamte beiderseitige Nachlass je zur Hälfte an den Bruder des Ehemanns bzw. an die Schwester der Ehefrau fallen. Nach dem Tod des Bruders sollte die Erbschaft wiederum an dessen Kinder fallen. Sowohl der Bruder des Erblassers als auch die Schwester der Ehefrau waren bereits vorverstorben. Nach dem Tod des Ehemanns beantragte die Nichte aus der Familie der Ehefrau einen gemeinschaftlichen Erbschein - sie war der Ansicht, dass die Erblasser deren Vermögen zu gleichen Teilen der Familie des Ehemanns und der Ehefrau zukommen lassen wollten. Die Kinder des Bruders waren hingegen der Ansicht, dass vielmehr eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet worden sei. Demnach seien sie nach dem Tod ihres Vaters - dem Bruder des Erblassers - als seine Kinder zu gleichen Teilen Erben geworden.
Dieser Ansicht schloss sich im Ergebnis auch das OLG nach einer Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments an. Orientiert hat es sich hier zunächst am Wortlaut der Verfügung. Dabei spielte es insbesondere eine Rolle, dass die Erblasser keine Regelung für den Tod der Schwester der Ehefrau getroffen hatten - wohl aber eine Regelung für den Fall des Tods des Bruders. In diesem Fall greift aufgrund des Vorversterbens der Geschwister eine gesetzliche Vermutungsregelung, wonach die Einsetzung als Nacherbe im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe zur Folge hat. Aus diesem Grund sind die Kinder des Bruders dessen Ersatzerben - und zwar zu gleichen Teilen. Gründe außerhalb des Testaments, die gegen diese Auslegung sprechen, konnte das OLG nicht feststellen. Nachdem das Nachlassgericht zunächst einen Erbschein ausgestellt hatte, der auch die Kinder der verstorbenen Schwester als Erben berücksichtigt hatte, wurde diese Entscheidung somit aufgehoben.
Hinweis: Die Auslegung beginnt immer damit, den Wortlaut im Sinne eines allgemeinen Sprachgebrauchs auszulegen. Führt diese Auslegung nicht zur Ermittlung des tatsächlichen Willens eines Erblassers, kommen weitere Auslegungskriterien wie der mutmaßliche Wille des Erblassers zum Tragen.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Ein Vermächtnisnehmer kann das ihm zugedachte Vermächtnis durch ausdrückliche Erklärung annehmen. Ob aber bereits sein Handeln Rückschlüsse darauf zulässt, dass das Vermächtnis angenommen werden soll, klärte das Saarländische Oberlandesgericht (OLG) kürzlich anhand des folgenden Falls.
Die Erblasser - zwei Eheleute - hatten sich im Rahmen eines Erbvertrags wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt. Die drei gemeinsamen Kinder wurden jeweils zu gleichen Teilen zu Schlusserben eingesetzt. Bezüglich des gemeinsamen Sohns wurde zudem eine Vermächtnisanordnung getroffen: Ein im Eigentum der Eheleute stehendes Haus sollte ihm im Voraus und ohne Anrechnung auf den Erbteil vermacht werden. Der Sohn wurde gleichzeitig zum Testamentsvollstrecker für den Vollzug des Vermächtnisses berufen. Darüber hinaus hatten die Eheleute für den Sohn in einer weiteren notariellen Urkunde bereits eine General- und Vorsorgevollmacht erstellt. Diese Vollmacht berechtigte den Sohn, Grundbesitz der Eltern zu veräußern. Nach dem Tod des Vaters - aber noch zu Lebzeiten der Mutter - veräußerte der Sohn unter Berufung auf die Generalvollmacht das ihm bereits vermachte Grundstück. Der Erwerber zahlte den Kaufpreis unmittelbar an den Sohn. Noch vor dem Vollzug des Kaufvertrags verstarb die Mutter. Die übrigen Miterben waren der Ansicht, dass der Bruder den vereinnahmten Kaufpreis herauszugeben habe, der Verkaufserlös müsse unter den Erben aufgeteilt werden. Es handele sich auch nicht um die Erfüllung des Vermächtnisses, da der Bruder dieses zu keinem Zeitpunkt angenommen habe.
Dieser Ansicht schloss sich das OLG ebenso wenig an wie dessen Vorinstanz. Auch wenn die Veräußerung noch zu Lebzeiten der Mutter erfolgte, befand sich das Grundstück zum Zeitpunkt ihres Todes noch im Nachlass, weshalb die Erbengemeinschaft dazu verpflichtet gewesen wäre, den Vermächtnisanspruch zu erfüllen. Durch die Veräußerung habe der Sohn das Vermächtnis stillschweigend angenommen. Dies war auch auf der Grundlage der erteilten Generalvollmacht möglich. Der Sohn war nicht dazu verpflichtet, den Weg über die Testamentsvollstreckung zu gehen. Da eine Erfüllung des Vermächtnisses nicht mehr möglich war - die Immobilie war bereits veräußert -, stand dem Sohn auch der finanzielle Ersatz für das Vermächtnis zu.
Hinweis: Ein Vermächtnis kann durch Erklärung gegenüber dem Erben ausgeschlagen werden. Die Erklärung ist nicht formbedürftig oder fristgebunden, sie ist aber erst nach dem Eintritt des Erbfalls möglich.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Wird eine Immobilie vererbt, bedarf es in der Folge einer Berichtigung des Grundbuchs, da die Eintragung durch den Tod des Eigentümers unrichtig geworden ist. Der Nachweis der Unrichtigkeit wird durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden geführt. In der Regel reicht hierfür die Vorlage eines Erbscheins aus. Anders kann es allerdings wie im Fall des Saarländischen Oberlandesgerichts (OLG) sein, wenn sich aus anderen Umständen Zweifel ergeben, dass das betroffene Grundstück oder ein Teil davon noch zum Nachlass gehört.
Nach dem Tod der Erblasserin 2007 beantragte eine Erbin die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie und zwei weitere Beteiligte als Nacherben auswies. Die Vorerbin war bereits vor Antragstellung verstorben. Das Nachlassgericht erteilte einen entsprechenden Erbschein. Unter Berufung auf diesen Erbschein beantragte die Miterbin dann die Berichtigung des Grundbuchs einer im Eigentum der Erblasserin stehenden Immobilie und ihre Eintragung als Miteigentümerin. Hiergegen setzte sich ein weiterer Miterbe im Ergebnis erfolgreich zur Wehr. Die Antragstellerin hatte bereits im Jahr 2010 mit notariellem Vertrag ihre Nacherbenanwartschaft an dem Nachlass der Erblasserin an einen der späteren Miterben übertragen.
Das OLG war vor diesem Hintergrund der Ansicht, dass das Grundbuchamt die Berichtigung zu Recht abgelehnt hatte. Die Umschreibung auf den Erben auf Grundlage eines erteilten Erbscheins ist nur möglich, wenn das Grundstück noch zum Nachlass gehört. Das Grundbuchamt muss dies selbständig prüfen. Die vermeintliche Nacherbin vertrat die Ansicht, dass die notarielle Übertragung ihres Anrechts wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig und damit unwirksam gewesen sei. Die Erkenntnismöglichkeiten des Grundbuchamts beschränken sich hingegen im Eintragungsverfahren auf die einzureichenden Unterlagen und die beim Grundbuchamt offenkundigen Umstände. Die Übertragung der Nacherbenanwartschaft führte nach Ansicht des OLG dazu, dass die Erbin nicht als Miteigentümerin der Immobilie im Grundbuch auf der Basis des Erbscheins eingetragen werden konnte.
Hinweis: Der Erwerber der Nacherbenanwartschaft wird bei Eintritt des Nacherbfalls nur vermögensrechtlicher Nachfolger des Erblassers, während der Veräußerer formal weiter als Nacherbe bestehen bleibt und als solcher auch richtigerweise im Erbschein aufgenommen wird.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Bei einer Ehescheidung werden alle Altersversorgungen mit dem jeweiligen Ehezeitanteil hälftig geteilt. Um zu wissen, welche Versorgungsträger wegen eines solchen Auskunftsersuchens angeschrieben werden müssen, füllen die Scheidungswilligen für das Gericht ein Formular (V10) aus, in dem sie jeweils ihre Versorgungsträger angeben. Der folgende Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) zeigt auf, welche betrügerischen Möglichkeiten des "Vergessens" von Angaben es gibt, um sich entsprechende Vorteile zu verschaffen.
Eine Frau trieb es besonders arg: Erst verschwieg sie ein Anrecht im Formular, dann löste sie einen Vertrag aus einer privaten Altersversorgung auf (was nur deshalb möglich war, weil der Versorgungsträger keine Post vom Familiengericht erhalten hatte) und gab die etwa 15.000 EUR aus. Schließlich beschwerte sie sich auch noch darüber, dass sie von der Betriebsrente des Manns noch nichts bekommen habe, weil der Mann noch nicht lange genug bei diesem Arbeitgeber gearbeitet hatte. Sie würde im Rentenalter hiervon nochmal einen "schuldrechtlichen" Ausgleich zugesprochen bekommen, weil man dann erst errechnen kann, wie hoch der Ehezeitanteil war.
In dem OLG-Verfahren fiel dann aber die Sache mit dem verschwiegenen und aufgelösten Anrecht auf - das OLG traf eine sogenannte Billigkeitsentscheidung nach § 27 Versorgungsausgleichsgesetz. Eine grobe Unbilligkeit liegt vor, wenn eine rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs unter den besonderen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls dem Grundgedanken der gesetzlichen Halbteilung in unerträglicher Weise widerspricht. Weil die Frau ihren Altersvorsorgevertrag verschwiegen und aufgelöst hatte, wurde ihr im Gegenzug die Teilhabe an der Betriebsrente des Manns im Alter endgültig verwehrt.
Hinweis: Diese Rechtsprechung ist nicht ohne weiteres auf den Fall übertragbar, in dem jemand nach Trennung, aber vor dem Scheidungsverfahren ein privates Altersvorsorgevermögen auflöst und ausgibt. Kann er nachweisen, dass er das Geld für neue Möbel, Anwaltskosten oder ähnlichen trennungsbedingten Mehrbedarf benötigte, bekommt der andere Ehegatte keinen Ausgleich und keine "Billigkeitsentscheidung".
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Dass man gewisse Risiken eingeht, wenn man jemandem seine Nacktbilder schickt, liegt auf der Hand - aber immerhin hat man rechtliche Möglichkeiten, sich gegen die Veröffentlichung im Internet zu wehren. Obwohl das nach einer Selbstverständlichkeit klingt, sah das Amtsgericht Bielefeld (AG) das zunächst anders. Doch dann war das Oberlandesgericht Hamm (OLG) am Zug.
Eine Frau wollte Verfahrenskostenhilfe (VKH) - so nennt man die Prozesskostenhilfe vor Familiengerichten - für einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Exfreund. Die Familienkammer des AG sollte ihm untersagen, die Bilder wie angedroht zu veröffentlichen, und dem Verbot mit Zwangsgeld bzw. Zwangshaft bei Zuwiderhandlung Nachdruck verleihen. Das AG gewährte der Frau aber keine VKH. Es meinte, dass die angedrohte Handlung keine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung darstelle.
Das OLG hob diese Entscheidung auf und machte deutlich: An Bildern, die zwar "befugt" entstanden und überlassen worden sind, weil die abgebildete Person sich selbst fotografiert und das Foto mit dem anderen geteilt hat, bleiben doch gewisse Rechte bei der abgebildeten Person - insbesondere bei einem intimen Motiv. Eine Strafbarkeit, Bilder mit sexuellen Darstellungen gegen den ausdrücklichen Widerspruch im Internet zu veröffentlichen, sei gar nicht abwegig. Der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch gehe sogar über die Straftatbestände hinaus. Deshalb müsse die Frau die rechtliche Möglichkeit haben, das im Vorfeld mit gerichtlicher Hilfe zu verhindern. Denn mittellosen Frauen dürfe nicht der Zugang zum Rechtssystem verwehrt werden. Deshalb gewährte das OLG die VKH und gab die Akte zurück zum AG.
Hinweis: Im VKH-Prüfverfahren dürfen die Richter nicht allzu streng bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten sein, weil mittellose Rechtssuchende sonst benachteiligt werden könnten. Wenn das Gericht also für möglich hält, dass Ansprüche bestehen, muss es das nicht erst komplett "durchprüfen", sondern erstmal VKH bewilligen.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Der Mindestunterhalt für Kinder ist dem Gesetzgeber und den Gerichten heilig. Wer den nicht zahlen kann, braucht eine sehr gute Begründung. Die meinte ein Vater zu haben, denn er studierte und konnte deshalb den Mindestunterhalt für drei Kinder nicht aufbringen. Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) musste seinen Bildungshunger mit seiner Unterhaltspflicht abwägen.
Zwei Ausbildungen hatte der Mann nach dem Abitur bereits absolviert: bei der Bundeswehr einen Abschluss als Kaufmännischer Assistent für Fremdsprachen und in der öffentlichen Verwaltung einen Abschluss als Verwaltungsfachangestellter. Das berufsbegleitende Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht im Studiengang Öffentliche Verwaltung sollte sechs Semester dauern, zu dem Abschluss Bachelor of Laws führen und für den gehobenen Verwaltungsdienst qualifizieren. Um das zu schaffen, arbeitete er während der Semester nur Teilzeit 20 Wochenstunden, während der Semesterferien Vollzeit und konnte damit seinen eigenen Lebensunterhalt sichern - nicht aber den der drei Kinder. Er meinte, das begonnene Bachelorstudium sei als eine Erstausbildung zu bewerten, weil der Bildungsgang "Abitur, Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten, Studium" als eine einheitliche mehrstufige, zeitlich zusammenhängende Ausbildung zu sehen sei.
So wird es zwar in der Rechtsprechung gesehen, wenn es um den Unterhalt der Studenten gegen ihre Eltern geht, nicht aber, wenn der Student selbst Unterhaltspflichten zu erfüllen hat. Das OLG verurteilte den Mann daher erwartungsgemäß zum Mindestunterhalt. Auf sein tatsächliches Einkommen könne er sich nicht zurückziehen, da ihn gegenüber den minderjährigen Kindern eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit trifft. Seine Leistungsfähigkeit werde nicht nur durch tatsächlich vorhandenes Einkommen, sondern auch durch seine Erwerbsfähigkeit und seine Erwerbsmöglichkeiten bestimmt. Sein Interesse an einer Aus- oder Weiterbildung sei nachrangig, wenn er bereits über eine Berufsausbildung verfüge, die ihm durch Erwerbsmöglichkeit in dem erlernten Beruf eine ausreichende Lebensgrundlage biete. Das Interesse des Vaters, zugunsten des Studiums seine Erwerbstätigkeit so weit zu reduzieren, dass er den Mindestunterhalt für seine drei Kinder nicht mehr aufbringen konnte, trat unter den gegebenen Umständen hinter dem Interesse der Kinder an der Sicherung ihres Existenzminimums zurück.
Hinweis: Anders kann es sein, wenn der Unterhaltspflichtige seine Erwerbstätigkeit nicht zum Zweck einer Zweitausbildung oder der Weiterbildung in dem erlernten Beruf, sondern zugunsten einer erstmaligen Berufsausbildung aufgegeben hat. Einer solchen Erstausbildung ist regelmäßig auch gegenüber der gesteigerten Unterhaltspflicht der Vorrang einzuräumen. Denn die Erlangung einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf gehört zum eigenen Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen, den dieser grundsätzlich vorrangig befriedigen darf.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Dass Erben einer geschiedenen Witwe weiterhin Unterhalt zahlen müssen, regelt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Die Anwendbarkeit dieser Regelung war beim Oberlandesgericht Celle (OLG) im Zusammenhang mit einem Ehevertrag zu prüfen. In dem Ehevertrag hatten nämlich die Ehefrau und der - nun verstorbene - Ehemann nicht nur den Unterhaltsanspruch recht eigenwillig geregelt, sondern auch gegenseitig auf Pflichtteilsansprüche verzichtet.
Für die geschiedene Ehefrau ging es nun im Streit mit den Erben - ihren Stiefkindern - um knapp 600.000 EUR. Zu prüfen war zunächst, ob die vertragliche Unterhaltsregelung nur die gesetzlichen Ansprüche konkretisierte oder ob es sich um eine sogenannte selbständige Unterhaltsvereinbarung, also rein vertragliche Ansprüche, handelte. Denn § 1586b BGB findet nur auf "gesetzliche" und "das Gesetz konkretisierende" Unterhaltsansprüche Anwendung.
Das OLG legte die vom Gesetz abweichende Individualvereinbarung als "selbständig" aus. Daher war im nächsten Schritt zu prüfen, ob diese nach dem mutmaßlichen Willen der Vertragsbeteiligten auch über den Tod des Verpflichteten hinaus gelten sollte. Das bejahte das Gericht und legte dazu die Gesamtvereinbarung und ihren Versorgungscharakter für die Frau aus. Für eine lebenslange Unterhaltsrente der Klägerin - über den Tod des Manns hinaus - spreche auch, dass die Ehegatten eine Befristung der Unterhaltsverpflichtung bis zu dessen Tod hätten aufnehmen können, dies aber unterlassen haben. Die Parteien des Ehevertrags gingen wegen der sehr guten Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Manns ersichtlich von einer unbeschränkten Leistungsfähigkeit des Erblassers bis zu seinem Tod und im Hinblick auf den zu erwartenden hohen Nachlass auch über seinen Tod hinaus aus.
Das Argument des Landgerichts, durch den Pflichtteilsverzicht hätten die Parteien zum Ausdruck gebracht, dass das Erbe nicht mit Unterhaltsansprüchen belastet werden solle, trug das OLG nicht mit. Der Pflichtteilsverzicht der Klägerin sei gerade bei einem lebenslangen Anspruch auf Unterhalt für den Fall sinnvoll gewesen, dass der Mann noch vor der Scheidung gestorben wäre. Im Ergebnis hafteten die Erben also trotz des nicht anwendbaren § 1586b BGB für den Unterhalt.
Hinweis: Wer seine Erben nicht mit Unterhaltsansprüchen nach seinem Tod belasten will, muss mit dem Unterhaltsberechtigten eine explizite vertragliche Lösung finden, die ihn absichert, zum Beispiel eine Lebensversicherung.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
"Wir lassen uns erstmal scheiden und können danach immer noch die finanziellen Dinge klären" - so häufig diese entspannt wirkende Vereinbarung auch getroffen wird, ist sie fast nie eine gute Idee. Auch nicht in diesem Fall, der vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) landete.
Mann und Frau hatten ein gemeinsames Haus. Die Frau zog aus. Der Mann blieb nach ihrem Auszug im Haus wohnen. Die Ehe wurde schließlich zwei Jahre später geschieden. Dann begehrte die Frau "Nutzungsentschädigung" - also die halbe Miete für das Haus, rückwirkend seit Trennung und für die Zukunft.
Das jedoch funktioniert aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht. Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung bis zur Scheidung ist eine sogenannte "Ehewohnungssache", die nach anderen Verfahrensgrundsätzen beurteilt wird als der Anspruch aus dem Miteigentum nach der Scheidung. Weil das der Erstinstanz nicht aufgefallen war, trennte das OLG nun die beiden Verfahren. Das führte dazu, dass der Mann in dem Verfahren für die Zeit ab Scheidung eine Frist verpasst hatte und dieser Teil der amtsgerichtlichen Entscheidung rechtskräftig wurde.
Hinweis: Die Vorschriften über die Verfahren vor dem Familiengericht lehnen sich teilweise an die Zivilprozessordnung an - teilweise gibt es eigene Verfahrensvorschriften. Es muss daher immer geprüft werden, ob es sich um eine "Familiensache der freiwilligen Gerichtsbarkeit" oder um eine "Familienstreitsache" handelt. Werden wegen der Nichtbeachtung Fristen versäumt, haftet der Anwalt auch dann, wenn die Erstinstanz den Fehler auch nicht bemerkt hat.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Wer heutzutage verantwortungsvoll naschen und schlemmen möchte, sollte allgemein auf mehr achten als nur auf seine eigene schlanke gute Linie. Klimaneutralität ist eines der Schlagworte, nach denen sich manche Verbraucher in ihrem Konsumverhalten richten - ein schlagkräftiges Verkaufsargument also für einige Unternehmen. Zu Recht? Das musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) bei gleich zwei Firmen entscheiden.
Bei den beiden Herstellern handelte es sich um einen Fruchtgummihersteller und einen Hersteller von Konfitüren. Beide warben mit dem Begriff "klimaneutral" und wurden daher von einer Wettbewerbszentrale jeweils auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Die Richter setzten zunächst einmal voraus, dass der durchschnittliche Verbraucher den Begriff "klimaneutral" im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen eines Produkts verstehe. Dabei sei ihm bekannt, dass diese Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden könne. Und genau auf eine solche Information käme es an, um die Behauptung zu belegen. Und hier unterschieden sich die beiden Fälle.
Im Falle der Konfitürenherstellerin (I-20 U 72/22) enthielt weder ihre Werbeanzeige in einer Zeitschrift für Lebensmittel noch die Produktverpackung einen Hinweis darauf, wie es zur behaupteten Klimaneutralität kommt. Sie wurde daher zur Unterlassung verurteilt.
Dagegen hatte der Fruchtgummihersteller (I-20 U 152/22) die erforderlichen Informationen in ausreichender Weise zur Verfügung gestellt. Der Leser der Werbeanzeige in der Zeitschrift für Lebensmittel könne über den darin enthaltenen QR-Code die Website von "ClimatePartner.com" aufsuchen, auf der die erforderlichen Angaben entnommen werden können. Dies war nach Ansicht des OLG in diesem Fall zur Information der Verbraucher ausreichend.
Hinweis: Ein Link oder QR-Code mit weiterführenden Informationen reicht also aus, um Produkte als "klimaneutral" bezeichnen zu können. Ob das, was dann dort steht, allerdings richtig ist, steht auf einem anderen Blatt.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit dem folgenden Urteil die Rechte von Reisenden mit Handikap enorm gestärkt. Denn hier scheint es, dass ein Mensch durch die Tatsache, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, eher wie sperriges Gut behandelt wurde. Er musste zuletzt aussteigen und verpasste seinen Anschlussflug. Ob er auf Ausgleich hoffen durfte? Der BGH hat diese Frage beantwortet.
Über eine Internetplattform wurden ein Flug für insgesamt fünf Personen bei einer Airline von Frankfurt am Main nach Budapest und von Budapest nach Sankt Petersburg gebucht. Einer der Reisenden war auf einen Rollstuhl angewiesen und durfte in Budapest das Flugzeug erst nach allen anderen Passagieren verlassen. Er und seine Hilfsperson verpassten deshalb den zweiten Flug, während die anderen Passagiere den Flug erreichten. Schließlich bemühten sie sich um einen Ersatzflug und erreichten Sankt Petersburg knapp zehn Stunden später. Nun wollten sie die Kosten der Ersatzbeförderung und eine Ausgleichszahlung erhalten. Dabei ging es pro Passagier um jeweils 627,27 EUR.
Der BGH gab den Klägern Recht. Die Airline war für die große Ankunftsverspätung verantwortlich, wenn sie einem Fluggast unter Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 Fluggastrechteverordnung die Möglichkeit genommen hatte, den direkten Anschlussflug rechtzeitig zu erreichen. Auf die Frage, ob ein spezieller Rollstuhlservice für den Transfer gebucht und verspätet erbracht wurde, kommt es bei einem Verstoß des Unternehmens nicht an. Die Airline war verpflichtet gewesen, die beiden Reisenden nach Ankunft in Budapest vorrangig aussteigen zu lassen.
Hinweis: Der Fall ist an sich schon unglaublich. Wir diskutieren über Integration - und eine Fluggesellschaft schafft es nicht, dass ein Rollstuhlfahrer mit seiner Begleitung den Anschlussflug erreichen kann? Wir sollten uns alle mehr an der Integration beteiligen, denn eine Behinderung kann jeden treffen.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Ein Grundsatz besagt: Wer seine Schulden nicht zahlt, muss zunächst abgemahnt werden, bevor er rechtliche Schritte zu erwarten hat. Wie es aber mit Grundsätzen so ist: Es gibt Ausnahmen - auch in diesem Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.
Produktionsteile für die Montage von Fahrzeugcockpits sollten nach Mexiko verschifft werden. Dann musste allerdings mitgeteilt werden, dass die Teile wegen eines Maschinenschadens erst später versendet werden konnten. Ein vorheriges Verschiffen sei nicht möglich. Daraufhin wurde eine andere Spedition beauftragt, die Teile per Luftfracht zu befördern. Es entstanden Kosten in Höhe von knapp 13.000 USD. Diese Summe wurde nun eingefordert. Die Schifffahrtspedition wollte die Summe nicht zahlen und meinte, sie befände sich nicht in Verzug, da keine Mahnung vorgelegen hätte.
Das sah der BGH allerdings anders. Eine Mahnung sei dann entbehrlich, wenn der Schuldner noch vor Fälligkeit erkläre, dass er nicht rechtzeitig leisten könne. In einem solchen Fall würde es eine reine Förmelei darstellen, den Eintritt des Verzugs von einer Mahnung des Gläubigers abhängig zu machen. Das Gericht gab der Klage auf Schadensersatz daher statt.
Hinweis: Trotz dieses Urteils sind viele Parteien - gerade im Kaufrecht(!) - gut beraten, eine Mahnung abzusenden, bevor sie weitere Maßnahmen ergreifen. Denn in vielen Fällen ist eine Mahnung erforderlich, bevor der Schuldner in Verzug gerät.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
Die Abgrenzung zwischen einer Tatsachenbehauptung und einer Meinungsäußerung ist presserechtlich immer wieder Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen - auch in diesem Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).
Eine sogenannte "Profilerin" trat als Rednerin bei Veranstaltungen auf. Im Zuge einer Teilnahme der Frau als Expertin bei einer Fernsehsendung berichtete eine überregionale Tageszeitung, dass die Frau "mit Anhängern der Querdenkerbewegung" zusammenarbeite. Unstreitig war, dass sie tatsächlich mit vier der dort genannten Personen zusammengearbeitet hatte. Auf einer Verlagswebsite der Profilerin wurden diese Personen nämlich als "handverlesene Autoren" aufgeführt, die auch für den entsprechenden Verlag arbeiten würden. Die Profilerin verlangte von der Tageszeitung dennoch die Unterlassung der Berichterstattung.
Damit kam sie beim OLG nicht weiter. Bei der angegriffenen Äußerung handelte es sich um ein Werturteil - und damit um eine Meinungsäußerung. Der Begriff der Querdenkerbewegung ist unscharf und skizziere "eine äußerst heterogene, nicht klar zu umreißende Initiative, die die Pandemie bzw. das Coronavirus leugnet, Schutzmaßnahmen des Staates zur Bekämpfung und Eindämmung der Coronapandemie ablehnt und dabei auch Verschwörungserzählungen verbreitet", so das Gericht. Die Zeitung hatte aus Äußerungen und Kontakten zu vier im Artikel genannten Personen darauf geschlossen, dass diese Personen der Bewegung zuzuordnen sind, und für diese Einschätzung auch tatsächliche Anhaltspunkte vorgebracht.
Hinweis: Wer gegen Äußerungen in der Presse vorgehen möchte, sollte anwaltlich gut beraten sein.
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(aus: Ausgabe 09/2023)
An Bord eines Flugzeugs ereignete sich ein Unfall. Dieser für sich war jedoch nicht direkt Dreh- und Angelpunkt, warum der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Rate gezogen werden musste. Vielmehr ging es um die Frage, ob die Folgen einer daraufhin erfolgten schädlichen Erstversorgung dem EU-Übereinkommen von Montreal oder aber den landesspezifischen (hier österreichischen) Gesetzen unterliegen. Warum das? Weil es um die Frist ging, innerhalb derer eine Klage wegen Schadensersatzes und eventueller Folgeschäden einzureichen ist.
Während eines Flugs mit einer österreichischen Airline kippte eine Kanne mit heißem Kaffee von einem Servierwagen auf einen Passagier, der sich dabei Verbrühungen zuzog. Er erhielt an Bord des Flugzeugs zwar eine medizinische Erstversorgung, diese war allerdings so unzureichend, dass sie die Verbrühungen noch verschlimmerte. Schließlich klagte der Passagier mehr als zwei Jahre später vor den österreichischen Gerichten auf Schadensersatz und Feststellung der Haftung für alle künftigen Schäden. Die Airline meinte hingegen, dass die Klage zu spät eingereicht wurde. Denn nach dem EU-Übereinkommen von Montreal hätte die Klage binnen zwei Jahren eingereicht werden müssen. Der Geschädigte sah das anders, da die medizinische Erstversorgung an Bord nicht unter den Begriff "Unfall" im Sinne des EU-Übereinkommens falle. Deshalb sei das EU-Recht auf seine Klage auch nicht anzuwenden, da diese innerhalb des in Österreich vorgesehenen dreijährigen Zeitraums eingereicht worden sei. Das österreichische Gericht hatte den EuGH daraufhin um Rat gefragt.
Der EuGH meinte nun, dass sich die nach dem Übereinkommen von Montreal vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung von Fluggesellschaften auch auf eine unzureichende medizinische Erstversorgung an Bord erstrecke. Damit ist vorrangig EU-Recht anzuwenden - und die Klage wurde somit verspätet eingereicht.
Hinweis: Airlines müssen dafür sorgen, dass verletzte Passagiere eine ausreichende medizinische Erstversorgung an Bord erhalten. Ist diese Versorgung mangelhaft, muss die diesbezügliche Klage innerhalb von zwei Jahren eingereicht werden.
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(aus: Ausgabe 09/2023)